Mehr als eine Milliarde Menschen weltweit leiden an Erkrankungen des zentralen Nervensystems, wie Epilepsie und Alzheimer. Um neurologische Krankheiten besser verstehen und Therapien zielgenau entwickeln zu können, müssen Forschende tief in die neuronale Schaltzentrale blicken und ihr Wissen über Strukturen sowie Wechsel- und Zusammenspiel von Nervenzellen erweitern. Das Leibniz-IPHT konnte sich nun eine Förderung des Europäischen Forschungsrates (ERC) für die Weiterentwicklung präziser neurowissenschaftlicher Instrumente sichern.
Hochaufgelöste Bilder aus dem Inneren des Zentralnervensystems können wertvolle Hinweise liefern, wie Krankheiten entstehen, sich entwickeln und Behandlungskonzepte greifen. Da das Gewebe im Gehirn äußerst empfindlich ist, sind neurologische Untersuchungen mit herkömmlichen Endoskopen sehr komplex. Um umliegende Gehirnareale dabei nicht zu verletzen und Schädigungen an Nervenzellen zu riskieren, sind minimalinvasive Endoskop-Konzepte für die Beobachtung neuronaler Strukturen gefragt.
Das Leibniz-IPHT hat mit der Entwicklung einer haarfeinen Endoskopie-Sonde, die dünner als ein menschliches Haar ist, zukünftigen Technologien für die moderne neurowissenschaftliche Schlüssellochdiagnostik den Weg geebnet. Sie ermöglicht einzigartig detaillierte Beobachtungen von neuronalen Zellen in einer noch nie dagewesenen Detailtiefe. Möglich macht dies eine äußerst dünne und flexible optische Faser, die als Bildgebungsinstrument dient und am Jenaer Institut im Rahmen des vom ERC-geförderten Forschungsprojektes LIFEGATE (Holographic super-resolution micro-endoscopy for in-vivo applications) entwickelt wurde.
Hirnstrukturen präzise abbilden und überwachen
Mit der nun erhaltenen finanziellen Förderung des ERC können diese Ergebnisse weiterentwickelt und zu einem vielversprechenden Reifegrad geführt werden, der die Technologie in die Anwendung bringt.
„Die Forschungszuwendung des ERC ermöglicht uns, tiefe neuronale Strukturen zu erforschen, sie visuell zu überwachen, zu beobachten, aber auch ihre Aktivität zu kontrollieren. Hierzu werden wir bestehende Endoskopie-Lösungen weiterentwickeln und in der praktischen Anwendung überprüfen, um die kommerzielle Umsetzung solch leistungsfähiger wissenschaftlicher Instrumente für die Gehirndiagnostik voranzutreiben“, so Tomáš Čižmár, Leiter der Arbeitsgruppe Holographische Endoskopie und Leiter der Abteilung Faserforschung und -technologie am Leibniz-IPHT.
Das Projekt WOKEGATE, welches 2022 starten wird, wird die Arbeit aus dem vorangegangenen und ERC-geförderten LIFEGATE-Projekt des Leibniz-IPHT fortführen. Mit der Entwicklung eines neuartigen ultrafeinen endoskopischen Faserdesigns, welches Gewebeschädigungen auf ein Minimum reduziert, soll die hochauflösende in-vivo Bildgebung von tiefen Hirnregionen, wie solchen für Sinneswahrnehmungen oder Gedächtnisleistungen, weiter verbessert werden. Aktivitäten einzelner Neuronen in Hirnstrukturen können damit lokalisiert, beobachtet und stimuliert werden. Perspektivisch sollen zudem Medizinerinnen und Mediziner bei der Platzierung von Implantaten zur Gehirnstimulation durch eine optimierte Bildgebung noch besser unterstützt werden.
„Krankheiten wie Alzheimer nehmen in unserer heutigen Gesellschaft stetig zu. Ein wirksames Mittel zu finden, um diese Krankheit aufzuhalten, irgendwann vielleicht auch zu besiegen, setzt ein äußerst präzises Verständnis der Vorgänge in unseren Nervenzellen voraus. Heute mit unserer Forschungsarbeit genau diese Grundlagen zu legen, um einen Beitrag zu leisten, Menschen in Zukunft zu helfen, ist unsere tägliche Motivation. Die Förderung des ERC ist dabei Anerkennung und Ansporn zugleich“, so Tomáš Čižmár.
ERC-Förderung
Mit insgesamt 25 Millionen Euro fördert der ERC als Teil des EU-Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon Europe Pionierforschung und exzellente wissenschaftliche Projekte von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Der ERC wurde 2007 von der Europäischen Union initiiert und hat sich als global sichtbares, europäisches Förderprogramm für Spitzenforschung etabliert.
166 Forschende konnten sich in der Ausschreibungsrunde 2021 über Fördersummen von je 150.000 Euro freuen, mit der wegweisende Forschungsansätze in die frühe Phase der Kommerzialisierung überführt werden sollen. Das EU-Programm fördert Forschende und ihre Projekte, die bereits eine Förderung durch die ERC-Programminitiative erhalten haben. Auf diese Weise gewonnene Erkenntnisse sollen in einer zweiten Förderphase weiterentwickelt und vertieft werden.
Quelle: L-IPHT